TZR Galerie auf Facebook
StartKuenstlerAusstellungenKonzeptKontaktAgbDatenschutzImpressum
« Index Tobias trutwin
Volltext
Texte online
HEIMSUCHUNG. Sog und Widerstand des Bildes. Zu den Werken von Tobias Trutwin

Mit dem Projekt der Ausstellung "Heimsuchung" ist zunächst die Vielfalt der Bedeutungen des Begriffes "Heimsuchung" angesprochen, die beispielsweise offen läßt, ob es um einen aktiven oder passiven Vorgang geht: man kann heimsuchen, ein Heim (auf)suchen, oder auch heimgesucht werden. Die künstlerische Bedeutung der "Heimsuchung" besteht primär in der Auseinandersetzung mit einem biblischen Thema, das wie kaum ein anderes für "Erkenntnis" steht, da Johannes der Täufer (im Leib der schwangeren Elisabeth) den Messias im Leib der Jungfrau erkannte und alsdann von ihm gesegnet wurde. Die von "Erkenntnis" geprägte Begegnung der schwangeren Frauen, in der die Früchte der Leiber gleichzeitig sichtbar und unsichtbar sind, wird auf die Erkenntnismöglichkeiten durch das Bild und auf die immerwährende Suche nach dem Urbild oder auch nach dem absoluten Bild übertragen.

Mehrere Werke widmen sich ikonographisch dem biblischen Thema der Heimsuchung. Im Diptychon WE - Funkemariechen mit dem Mädchenportrait und einem Textausschnitt aus dem "Magnificat": potentes de sede et exaltavit humiles (er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen) begegnen sich wie in blumen IV eine Fotografie mit einem zentralen Motiv und ein Farb-Schrift-Feld. Die Schrift ist gleichwertiges Pendant in einer Begegnung, in der das eine Typus für das jeweilige andere ist: es handelt sich um zwei unterschiedlich generierte Mariendarstellungen. Das liturgische Magnificat entstand aus dem Lobgesang der Maria, mit dem sie auf Elisabeths Gruß bei der Heimsuchung antwortet. Hier ist es die Antwort auf die Begegnung mit dem Mädchen "Maria" im Bild, deren Worte an den Betrachter gerichtet sind. Wie Elisabeth ist dieser aufgefordert, zu erkennen und in dieser Erkenntnis "erhöht" zu werden.

Das Bild Heimsuchung zeigt einen bemerkenswerten Widerspruch, indem es das Thema ironisch bricht und in dieser Brechung wiederum auf höchster Ebene ernst nimmt. Es begegnen sich zwei ausgesprochen erotisch gestylte Frauen; eher zwei Partygängerinnen, die um die Häuser ziehen, als zwei Schwangere in trauter Häuslichkeit. Ihre Bäuche, in traditionellen Bildern der Heimsuchung der wichtigste Part der Bilder, sind ausgespart und außerhalb der Bildgrenze angelegt. Nur das Wort der Überlieferung; der so wichtige Grußdialog zwischen den Frauen wäre an den blutrotgeschminkten Mündern sichtbar. Dennoch schließt das Bild gerade in seiner farbgewaltigen Sinnlichkeit an die Bedeutung an, die das Thema vor allem seit der Renaissance hatte. Der Moment des Erkennens Christi durch Johannes, der freudig in Elisabeths Leib hüpft; die Erfüllung der Elisabeth durch den Heiligen Geist, all dies faßten die Maler in einen bewegten Rausch von Farben, Gesten und Gewandwürfen, in einer Verknüpfung der beiden Frauen zu einer geschlossenen Sprachfigur. In diesem Farben- und Formenrausch der "Erkenntnis in der Begegnung" sahen sie eine Metapher für die Erkenntniskraft der Malerei, die Sichtbarmachung des Unsichtbaren, die sie mit eben diesen Bildern explizit propagierten. Ohne sich hier auf ein bestimmtes Vorbild zu beziehen, ruft Trutwin die Metapher für seine Bilder der Heimsuchung auf, und auch er verknüpft beide Frauen zu einer "Erkenntnisfigur": Profile, Brüste und Haare schieben sich gestalthaft übereinander. In der Brechung des Themas aber wird letztlich deutlich, dass es einzig um eine "Erkenntnis der Unmöglichkeit absoluter Erkenntnis" geht, die das Bild wie kein anderes Medium in sich trägt (und wie kein anderes Medium erkennen lassen kann).

Trutwins Glasbilder sind eine Reflexion der Materialität und Medialität des Bildes, die sich nicht nur auf eine einfache Entlarvung von Zeichenhaftigkeit beschränkt, sondern gerade auch das Auratische und das Transzendente zur Frage von Medialität macht. Unser ambivalenter Umgang mit dem Bild, das einerseits höchstes und beständig gesuchtes Erkenntnisorgan ist, andererseits aber auch das gefährlichste Mittel der Manipulation, Täuschung und Verführung, ist tief in den religiösen Bildtraditionen gegründet. "Am Anfang war das Bild": So ist das Christentum bereits mehrfach als Bildreligion bezeichnet worden; und gerade hier sind zwischen extremer Bildverehrung und radikalen Bilderstürmen alle nur denkbare Spielarten der genannten Bildambivalenz zu finden. Für die klassische Moderne war das oft als Antibild mißverstandene schwarze Quadrat von Malevich das "echte Bild" UND der Nullpunkt aller Bilder; das Bild, das die säkulare Neuschaffung der in Russland allgegenwärtigen Ikone sein und das ohne kulturelle Vorprägung in einer Metaphysik der reinen Form verstanden werden wollte. Der Sog bei gleichzeitigem Widerstand ist dem schwarzen Quadrat und den Arbeiten Trutwins gemeinsam: das Quadrat schluckt alle vor- und nachgängige Bildlichkeit bei eigener Opazität - die Bildfläche ist undurchdringlich und das Bildzeichen verweist nur auf sich selbst. Doch die Zeit nach der Moderne scheint sich wieder den sehr viel älteren Urbildern und damit dem Abbildproblem zuzuwenden, nicht nur im Bewußtsein dessen, wie sehr sie unsere Kultur geprägt haben. In den mittelalterlichen Kultbildern liegen bereits all die Konflikte und scheinbaren Lösungen, die Bilder in ihrer Auseinandersetzung mit Transzendenz und sichtbarer Wirklichkeit seit Jahrhunderten in sich tragen. Symptome sind die Bilderverbote des Islam und des Alten Testaments und die immer wieder aufflammende Bildproblematik des Christentums, dem die Fleischwerdung Christi letztendlich doch nicht Argument genug FÜR das Bild war.
Ein Bildtypus, auf den sich Trutwin immer wieder bezieht, ist ein sogenanntes Acheiropoieton, ein nicht von Menschenhand gemachtes Bild: die Vera Icon, der Abdruck des Antlitzes Christi auf dem Schweißtuch der Veronika. Im späteren Mittelalter sollte dies die Lösung im immerwährenden Bilderstreit sein, denn Christus hatte hier selbst ein Bild gestiftet und damit sichtbar und anschaulich Position bezogen. Das echte Bild schien gefunden, doch das bildliche Paradox blieb bestehen, waren die zahllosen Abbildungen des in Rom verwahrten Tuchs eben doch "von Menschenhand gemacht". Die Arbeit Veronica - Das rote Tuch hebt alle Figürlichkeit auf und zeigt die Stofflichkeit, die Materialität und die dem Gesetz der Schwerkraft unterliegende anschauliche Form des Tuches, das nur noch in seiner Farbgebung auf den durch den Blutschweiß Christi entstandenen Abdruck referiert. Gleichzeitig ist es das magisch und rituell aufgeladene Tuch des Stierkämpfers und verbindet die blutige Passion des Stiers mit der Passion Christi - ein wiederholt auftretendes Doppelmotiv im Werk Trutwins. Dies gilt auch für die ausgestellte Arbeit Stierblut.

Die Werke Trutwins schildern insgesamt die Suche nach dem echten Bild, nach dem Urbild, nach dem letztgültigen Bild; auf den Spuren der bildlichen Strukturen metaphysischer Erkenntnis. Betrachtet man flotter kick, so kommt einem unweigerlich die Äußerung Malevich' in den Sinn, das "Weiß" sei das Universum, zu dem man gelangt sei, indem man das durch die suprematistische Bewegung überwundene Blau des Himmels durchstoßen habe. In einer Inversion des Malevich-Prinzips ist hier das schwarze Quadrat des Suprematisten zu zwei Hälften sauber aufgebrochen, um zwischen den so gewonnenen Flügeln eines Triptychons in dem neuen Quadrat, d.h. in der Reinform, das Blau wieder sichtbar zu machen, welches aber auch bei Trutwin durch das Glas hindurch im Anschauungs- und Erkenntnisvorgang "durchstoßen" sein will.

Es gibt jedoch ein weiteres Bestreben: Während für Malevich die von ihm abgelehnten Bilder eines "Samowar-auf-Tisch-Realismus", einer Spiegelung der Natur, im schwarzen Quadrat und damit aus seinem Horizont verschwinden, weiß Trutwin ganz generell um die Macht der Bilder und fordert daher Bildkompetenz für JEDES Bild ein: Mit seinen Bildern wollen auch alle anderen Bilder "durchschaut" sein. Hier wiederum erklärt sich sein eigener Rückgriff auf die Kultbilder: jedes noch so kanonische mittelalterliche Bild trägt die genannte Bildproblematik in sich; und sie ist auch dort noch virulent, wo sie bei Trutwin zum eigentlichen Thema gemacht wird. Das Bild sagt: "Ich kann Dir das Essentielle nicht zeigen, aber ich kann Dir zeigen, daß es nicht gezeigt werden kann". Die ersten Künstler, die diese Erkenntnis bewußt mit ihren Werken kommunizierten, waren die Altniederländer. So ist es kein Zufall, daß Trutwin sich in seiner Arbeit immer wieder auf die Protagonisten der Ars Nova des 15. Jahrhunderts bezieht.

Das Glas als Träger und Gefäß des Bildes, das es freigibt und gleichzeitig zurückhält, thematisiert blumenIV. "IV" kann als eine römische Vier gelesen werden, aber auch als Abkürzung i.v., so beispielsweise für "in vitro" oder in Kontext der Blumenvase "in vase" (lat.: im Gefäß). "In vitro", "im Glas" sind eine Großteil der Bilderwelten Trutwins, angespielt wäre hier natürlich auch In-vitro-Fertilization, womit wir wieder beim Thema "Schwangerschaft", Inkarnation und Bildwerdung wären. Diese drei Dinge berührt in der christlichen Metaphorik auch die "Vase", da Maria als Gefäß Christi verstanden wird, als "vas Christi". Auf zahlreichen mittelalterlichen Gemälden finden wir daher Vasen mit Blumen, die mit mariologischer Symbolik aufgeladen sind (beispielsweise dunkelblaue Schwertlilien). Die Lichtbrechung an der Vase im linken Glas des Diptychons erinnert zugleich an die Metapher der Jungfräulichkeit der Gottesmutter im durch das geschlossene Glas hindurchgehenden Lichtstrahl.
Die Arbeit shrimp vertritt eine ähnliche Thematik, wenn auch ohne mittelalterliches Vorbild und mit modernen medialen Durchdringungsmetaphern. Das Glas trägt (in vitro) das bearbeitete Ultraschallbild eines Embryos. Das bildgebende Verfahren des Ultraschalls macht sichtbar, was für unsere wie für Elisabeths Augen eigentlich unsichtbar ist, indem die Schallwellen den Körper durchdringen, dort unterschiedlich reflektiert und in Bilddaten übertragen werden. Das Licht kann den Körper nicht durchdringen, daher können wir das Innere des Leibes weder sehen noch fotografieren. Schallwellen jedoch benötigen zur Verbreitung den Körper als Medium. Bei den Ultraschallbildern ist es also gerade dieser undurchsichtige dichte Körper, der die Daten für das Bild produziert. "Hören" (wenn in diesem Fall auch jenseits des menschlichen Ohres) wird zu Sehen ("Siehe, da ich die Stimme Deines Grusses hörte...). Unser Auge - das in dem bearbeiteten Ausgangsbild quasi gespiegelt wird - glaubt, was es "sieht" und betrachtet das Bild wie eine Fotografie, die zwar auch keine wirkliche Authentizität für sich beanspruchen könnte, aber immerhin wie das Sehen den Gesetzen der Optik folgt. Durch die verfremdende Bearbeitung des Schallbildes für das Glasbild, die eine Irritation dieser angeblichen "Wiedererkennung" erzeugt, wird der Schein entlarvt.

So ist die Wahl des Glases nicht nur die Entscheidung für einen Bildträger, sondern ein grundsätzlich programmatisches Statement für das immerwährende Oszillieren des Bildes zwischen Opazität und Transparenz. Das Glas ist sowohl Schranke wie auch vermeintliche optische Öffnung für das, was hinter allem liegt. Schauen wir durch Glas, so sehen wir nicht wirklich das, was hinter ihm liegt, sondern das, was das Glas filtert, was es uns erlaubt zu sehen. Das Bild ist immer nur Schatten des Essentiellen, aber nur durch das Bild und diese durch es ermöglichte Erkenntnis können wir den Schatten als solchen erkennen. In den Glasbildern Trutwins kann dieser Schattenwurf in der Präsentation gleichsam gedoppelt werden: wird durch das einfallende Licht das im Glas eingeschlossene Bild als hellere Projektion an die dahinterliegende Wand geworfen, ist nicht einmal der Ort des Bildes genau definiert. Potenziert ist dieses Vexierspiel dann, wenn das Glasbild selbst eine Wand enthält (Elisabethstraße + WE - Funkemariechen). Zudem spiegelt sich der Betrachter und wirft zugleich einen Schatten an die Wand hinter dem Glas. Mit dem Spiegel und dem Schatten sind somit nicht nur antike und frühneuzeitliche Topoi der Erfindung des "Bildermachens" aufgerufen, auch die Möglichkeit oder Un-Möglichkeit der Selbsterkenntnis des Betrachters wird deutlich gemacht. Das Bild verführt und verstört zugleich, es fordert zur (Selbst-)erkenntnis auf und veweigert sie zugleich. Es oszilliert zwischen den Polen Identität und Differenz; zwischen Ordnung und Kontingenz. Tobias Trutwin wendet keine Bildtheorie an, die Bilder SIND Bildtheorie. Man könnte sie als eine Umkehrung von Arthur C. Dantos optimistischer Bildtheorie bezeichnen, die ebenfalls in einer Opazität-Transparenz-Dialektik besteht. Nach Danto ist das Bild selbst in seiner Materialität opak, diese wird vom Künstler allerdings so organisiert, daß die opake Bildfläche auf das Gemeinte hin transparent wird und "Sinn" freigibt: das Bild kann entsprechend dekodiert werden. Bei Trutwin ist dagegen das materielle Bild selbst transparent, die Opazität entsteht in ihrer Totalität erst bei dem Versuch, den Sinn in Gänze zu erschließen und sagbar zu machen. Programmatisch anschaulich wird dies in den Werken Jan van Eycks Kick und FKK, die den opaken Widerstand, an dem das Auge gewissermaßen abprallt, direkt in das Zentrum setzen und ausgerechnet dort kein "Durchdringen" gestatten.

Das Bild verweigert sich demnach nicht nur als Abbild, sondern selbst noch als Bild. Es ist noch in dem Moment widerständig, in dem wir uns schon darüber einig sind, daß es nicht "darstellen" will. Dies ist genau das Spannungsverhältnis, das die Arbeit von Trutwin ausmacht.
Die Suche nach den "echten Bildern" bringt ihn immer wieder zu der Essenz der Urbilder: Das Schweißtuch der Veronika, Blutschweißreliquie und von Christus selbst gestiftetes Gottesbild; die Stierbilder der Höhlenmalerei und das Goldene Kalb; der Blutkult und seine Visualisierung, die eine magische Aufladung der Farbe Rot mit sich bringt. Das dreifache Selbstporträt Superuschi, in der der Künstler selbst zum marianischen (Bild-)Gefäß wird, ist ein Statement innerhalb dieser Suche.
Tobias Trutwin macht keine religiösen Bilder. Der Rückgriff auf die alten Bildtopoi basiert auf der Erkenntnis, das die in ihnen verankerte Bildtheorie noch immer Gültigkeit hat, sowohl das Erkennen-Wollen des Betrachters als auch die Widerständigkeit des Bildes umfaßt. Diese Erkenntnis ist nach dem iconic turn, nach der Wiederkehr der Bilder, die machtvoll wie vielleicht nie unser Leben bestimmen, die essentielle Grundbedingung für ein Bewußtsein von (Bild-)Medialität. Trutwins Arbeiten sind Teil eines Phänomens der Rückgewinnung des Bildes und des Bildbegriffes in der Kunst, unter Umständen ausgelöst durch die Neuen Medien und die Digitalisierung, eingelöst zunächst in der darauf reagierenden analogen Fotografie seit den 90er Jahren. "Was ist das Bild? " - auch in der Kunstwissenschaft ist diese Frage- unter dem neuen Label Bildwissenschaft - seit einigen Jahren verstärkt in den Vordergrund gerückt. Die Arbeiten Trutwins machen deutlich, daß die Frage nur im Diskurs der Bilder selbst überhaupt stellbar ist und daß die Antwort sich hier immer neu konfiguriert - und der Greifbarkeit und Sagbarkeit entzieht.

(Heike Schlie)
TZR Galerie Kai Brückner